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Briefing

Buß­gelder nach dem Nachweis­gesetz – Buß­geld­risiken infolge digitaler HR-Organisation

A. Das geänderte Nachweisgesetz - ein zahnloser Tiger?

Das Änderungsgesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen (RL 2019/1152/EU) ist am 1. August 2022 in Kraft getreten. Mit diesem Gesetzespaket gingen weitreichende Änderungen des Nachweisgesetzes (NachwG) einher. Die arbeitsrechtlichen Kernpunkte einschließlich einer Vielzahl von nützlichen Praxistipps finden Sie kompakt in einem gesonderten Beitrag (-> Deep Dive zum geänderten Nachweisgesetz).

Zurecht wurde das „reformierte“ NachwG als Digitalisierungsbremse bezeichnet. Insbesondere die Beibehaltung des antiquierten, wenig praktikablen und nicht nachhaltigen Schriftformgebots aus § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG unter Ausschluss der elektronischen Form hat für harsche Kritik gesorgt. Denn gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 3 NachwG muss der Arbeitgeber die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses schriftlich niederlegen, die Niederschrift unterzeichnen und dem Arbeitnehmer aushändigen. Das NachwG verharrt damit auf dem Stand von 1995, obwohl die EU-Richtlinie eine elektronische Übermittlung der Nachweise als ausreichend und zeitgemäß erachtet hat.

Wieso die gesetzlich angeordnete „Zettelwirtschaft“ aktuell für so viel mehr Aufruhr sorgt als noch in den vergangenen 23 Jahren ist schnell erklärt: Verstöße gegen das NachwG, auch gegen das Schriftformgebot, werden neuerdings mit einem Bußgeld bedroht.

Wird so etwa künftig eine zeitgemäße, digitale und elektronische HR-Organisation in die kalte und düstere Ecke des Ordnungswidrigkeitenrechts verbannt? Inwieweit sich das NachwG von einem zahnlosen Tiger in eine ernste Compliance-Bedrohung verwandelt hat, soll in diesem Beitrag erläutert werden.

B. Nachweispflicht nicht erfüllt – was nun?

I. Tatbestand und Täterschaft im Rahmen von § 4 NachwG

Ordnungswidrig gem. § 4 NachwG handelt, wer als Arbeitgeber bei Arbeitsverträgen, die ab dem 1. August 2022 abgeschlossen werden, bestimmten Anforderungen an die Nachweispflicht nach §§ 2, 3 NachwG nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig entspricht.

Weil es sich bei § 4 NachwG um ein echtes Sonderdelikt handelt, kommt als tauglicher Täter nur der Arbeitgeber in Betracht. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person (zum Beispiel eine GmbH oder AG), so ist gemäß § 9 Abs. 1 OWiG der gesetzliche Vertreter (GmbH-Geschäftsführer oder Vorstand der AG) tauglicher Täter. Ebenso kommt nach § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 OWiG derjenige als tauglicher Täter in Betracht, der ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebes (vorliegend: dem Arbeitgeber) obliegen. Aufgrund dieser Ausweitung des Adressatenkreises kann somit auch der/die in der Personalabteilung zuständige Mitarbeiter/in ordnungswidrig handeln, soweit diese/r den Formerfordernissen des NachwG nicht nachkommt. Eine (zusätzliche) Bebußung des Arbeitgebers, sprich der juristischen Person, könnte nach § 30 OWiG (ggf. in Verbindung mit § 130 OWiG) erfolgen.

II. Keine Ordnungswidrigkeit bei Bestandsarbeitsverhältnissen nach § 5 NachwG oder gegenüber Praktikanten

Kommt der Arbeitgeber hingegen seiner Pflicht aus der Übergangsvorschrift des § 5 NachwG nicht nach, Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 1. August 2022 bestanden hat, auf ihr Verlangen eine Niederschrift mit den Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG auszustellen, stellt dies nach der hier vertretenen Auffassung keine Ordnungswidrigkeit dar. Diese spezielle für Bestandsarbeitsverhältnisse geltende Pflicht ist nämlich nicht ausdrücklich in die Bußgeldtatbestände aus § 4 NachwG aufgenommen worden. Wir gehen deshalb davon aus, dass insoweit der Grundsatz „Keine Ahndung ohne Gesetz“ greift. Für dieses Verständnis spricht bereits der Wortlaut des § 4 Abs. 1 NachwG. § 4 nimmt in Nr. 1 und Nr. 2 ausschließlich auf § 2 NachwG Bezug und in Nr. 3 ausschließlich auf § 3 NachwG. Für Bestandsarbeitsverhältnisse sind die Arbeitgeberpflichten nach diesseits vertretener Auffassung hingegen in § 5 NachwG geregelt (dort sind zum Beispiel auch die von
§ 2 NachwG abweichenden Fristen geregelt). § 5 NachwG verweist lediglich hinsichtlich des Umfangs der schriftlich zu übermittelnden Angaben auf § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 NachwG. Daher ist hier für den Anwender der Sanktionsnorm nicht erkennbar, dass die Bußgeldandrohung auch für Bestandsarbeitsverhältnisse gelten soll. Auch die Gesetzesbegründung legt eine entsprechende Bußgeldandrohung nicht nahe.

Eine Nichtanwendung der Bußgeldvorschrift auf Bestandarbeitsverhältnisse ergibt sich darüber hinaus auch aus der systematischen Stellung des § 5 NachwG, der vom Gesetzgeber erst hinter dem Bußgeldtatbestand verortet worden ist. Für Bestandsarbeitsverhältnisse bleibt es somit bei der nicht bußgeldbewährten Rechtslage von vor der Gesetzesreform.

Auch die speziellen Nachweispflichten gegenüber Praktikanten aus § 2 Abs. 1a NachwG finden keine Erwähnung in § 4 NachwG, sodass auch hier ein Verstoß nach unserer Auffassung keine Ordnungswidrigkeit darstellen dürfte.

Wie sich die Rechtsprechung in diesen Punkten positionieren wird, ist gegenwärtig noch nicht absehbar.

III. Keine Ordnungswidrigkeit bei fahrlässigem Verhalten

Anders als andere arbeitsstrafrechtliche Normen, wie etwa § 23 Abs. 1 AEntG, § 16 AÜG, § 21 Abs. 1 MiLoG oder § 22 ArbZG, enthält § 4 NachwG keine ausdrückliche Anordnung, dass bereits ein fahrlässiger Verstoß gegen das NachwG bußgeldbewährt ist. Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nichts Anderes. Nach § 10 OWiG gilt insoweit, dass nur vorsätzliches Handeln als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Etwas anderes gilt nur, wenn das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Geldbuße bedroht. Das ist im NachwG nicht der Fall.

Dabei darf nicht bereits aus der Erfüllung des objektiven Tatbestandes (etwa dem Verstoß gegen das Formerfordernis) zwangsläufig auf das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen geschlossen werden. Vielmehr kommt es auf die jeweiligen Umstände im Einzelfall an, ob der Arbeitgeber den Verstoß gegen das NachwG billigend in Kauf nimmt und damit vorsätzlich handelt. Andererseits werden sich Arbeitgeber einer Geldbuße regelmäßig nicht allein mit dem Argument entziehen können, man habe nicht erkannt, dass ein bestimmter Inhalt wesentlich im Sinne des § 2 NachwG sei. Ein Irrtum über die Reichweite des § 2 NachwG dürfte nach der gängigen Handhabung der Aufsichtsbehörden in der Regel lediglich als Verbotsirrtum behandelt werden, der oftmals als vermeidbar betrachtet werden wird.

IV. Verzicht des Arbeitnehmers auf den schriftlichen Nachweis?

Der Arbeitnehmer kann auf den gesetzlich erforderlichen Nachweis aus §§ 2, 3 NachwG nicht verzichten, weil die Vorschriften des NachwG nach § 6 NachwG unabdingbar sind. In der Konsequenz würde dies bedeuten, dass eine Ordnungswidrigkeit selbst dann vorliegen würde, wenn der Arbeitnehmer auf die Einhaltung der Formvorschriften verzichten würde. Ein solches Verständnis entspricht im Ergebnis auch den Wertungen, die bei nicht gezahltem Mindestlohn herangezogen werden. Auch im Bereich des Mindestlohns verhält sich der Arbeitgeber, der den Mindestlohn im Einverständnis des Mitarbeiters nicht zahlt, weiterhin ordnungswidrig. Mit Blick auf diesen Verstoß wird damit argumentiert, dass eine rechtfertigende Einwilligung ausscheide, da die Unabdingbarkeit des Mindestlohns in § 3 MiLoG zwingend festgeschrieben sei.

Die Anwendung dieses Verständnisses auf das NachwG mag konsequent erscheinen, weil der Bußgeldtatbestand des NachwG seine präventive Wirkung verlieren würde, wenn der Arbeitgeber zwar keine Vereinbarungen mit dem Arbeitnehmer über einen Verzicht auf den Nachweis treffen dürfte, ein solcher Verstoß (bei Zustimmung des Arbeitnehmers) allerdings nicht bußgeldbewehrt wäre.

Auf der anderen Seite ist im deutschen Recht grundsätzlich möglich, dass ein Betroffener in eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit der Folge einwilligt, dass der Täter sich zumindest nicht strafbar macht. Nur in wenigen Fällen und bei schwerwiegenden Folgen wie Tod oder Körperverletzung (vgl. §§ 216, 228 StGB) soll keine straf- oder bußgeldrechtliche Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung bestehen. Die Folgen eines fehlerhaft erteilten Nachweises und damit die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers sind mit solchen Konstellationen nicht zu vergleichen.

Vor diesem Hintergrund halten wir es für überzeugend, dass der Arbeitgeber sich mit dem Einwand der Einwilligung durch den Arbeitnehmer rechtfertigen kann. Ob dem von Aufsichtsbehörden bzw. Gerichten gefolgt wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht vorausgesagt werden.

V. Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das NachwG

§ 4 Abs. 2 NachwG sieht als Folge der Nichteinhaltung der Nachweispflichten vor, dass ein Bußgeld von fünf bis zu zweitausend Euro verhängt werden kann.

Daneben sind arbeitsrechtliche Folgen denkbar, wenn die Nachweispflicht nicht eingehalten wird.

1. Arbeitsrechtliche Folgen

Nachweispflichten sind für den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht konstitutiv. Das Arbeitsverhältnis kommt folglich auch dann zustande, wenn der Arbeitgeber seinen Nachweispflichten nicht ordnungsgemäß nachkommt. Der Arbeitnehmer hat lediglich einen Erfüllungsanspruch auf die Vorlage eines entsprechenden Nachweises und kann diesen gerichtlich durchsetzen. Bisher waren derartige Verfahren allerdings nicht an der Tagesordnung. Es ist nicht sonderlich wahrscheinlich, dass sich dies ändern wird.

a) Beweislastverteilung

Bereits in der Vergangenheit wurde allerdings diskutiert, inwieweit Verstöße gegen das NachwG zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Arbeitnehmers im arbeitsgerichtlichen Prozess führen. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung folgt dieser Auffassung bislang nicht pauschal, sondern berücksichtigt den Verstoß im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO. Unseres Erachtens sprechen gute Gründe dafür, dass es bei dieser Handhabung bleibt. In der Neufassung des NachwG ist keine Umsetzung der Vermutungsregel aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. a RL 2019/1152/EU vorgesehen, sodass es bei den allgemeinen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast bleiben müsste.

b) Schadensersatzansprüche

Verstöße gegen das NachwG können überdies arbeitsrechtliche Schadensersatzansprüche zur Folge haben. Das war vor der Reform auch nicht anders. Denkbar ist dies allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer einen adäquat kausalen Schaden nachweisen kann. Genau bei diesem Punkt werden dem Arbeitnehmer wie bisher Schwierigkeiten begegnen. Denkbar ist ein Anspruch des Arbeitnehmers am ehesten, wenn es um Ansprüche geht, die von einer Ausschlussfrist erfasst sind, es aber im Nachweisschreiben pflichtwidrig an einem entsprechenden Hinweis auf eben jene Ansprüche fehlt. Allein ein Verstoß gegen das Schriftformgebot vermag im Regelfall die Kausalität eines Verstoßes jedenfalls nicht begründen.

c) Klagefrist und Kündigungsschutz

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG bedarf es im Nachweisschreiben nunmehr auch eines Hinweises auf das bei einer Kündigung einzuhaltende Verfahren, die Schriftform der Kündigung, die Kündigungsfristen sowie die dreiwöchige Frist zur Kündigungsschutzklage. Wird der Hinweis nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 14 NachwG nicht ordnungsgemäß erteilt, folgt daraus allerdings nicht, dass der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage auch nach Ablauf der Dreiwochenfrist nach § 7 KSchG erfolgreich erheben kann. Dies stellen sowohl die Gesetzesbegründung als auch der Gesetzestext eindeutig klar. Ebenfalls scheidet eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG aus, weil die bloße Unkenntnis der Klagefrist nicht ausreicht, um eine nachträgliche Klagezulassung beantragen zu können.

Theoretisch vorstellbar ist, dass ein Arbeitnehmer stattdessen eine Klage auf Schadensersatz erhebt und die Ansicht vertritt, bei ordnungsgemäßem Hinweis hätte er rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Auf Basis der klaren Gesetzessystematik erscheint es allerdings systemwidrig, in derartigen Prozessen fiktiv zu prüfen, ob eine rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage Erfolg gehabt hätte.

Sorgfältig sollte jedoch beobachtet werden, inwieweit der Europäische Gerichtshof den „deutschen Weg“ bei der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 lit. j RL 2019/1152/EU billigt. Aus unserer Sicht folgt aus der Arbeitsbedingungenrichtlinie jedenfalls keine Pflicht, den Arbeitnehmer über das der Kündigung nachgelagerte Klageverfahren zu informieren. Dies zeigt sich bereits dadurch, dass Art. 4 Abs. 2 RL 2019/1152/EU dem Wortlaut nach zeitlich das Verfahren „bei“ und nicht „nach“ der Kündigung regelt. Zudem hat es das Kündigungsschutzklageverfahren als Informationsgegenstand lediglich in Erwägungsgrund 18 RL 2019/1152/EU geschafft und hat damit gerade keinen Eingang in den Richtlinientext als solchen gefunden.

2. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Folgen

Eine der spannendsten und bisher ungeklärten Fragen ist, wie Verstöße gegen das NachwG bußgeldrechtlich zu ahnden sind. Dies betrifft nicht nur die Höhe des zu erwartenden Bußgeldes, sondern auch das behördliche Verfahren.

§ 4 NachwG sieht insoweit ein Bußgeld von fünf bis zweitausend EUR vor. Das maximale Bußgeld erscheint zunächst gering. Allerdings könnte die Gesamtsumme des Bußgelds eine empfindliche Höhe erreichen, wenn die Fallzahl von Verstößen gegen das NachwG entsprechend hoch ist. Man denke etwa an ein Unternehmen mit vielen tausend Arbeitnehmern, welches – fehlerhafte – standardisierte Nachweisschreiben verschickt oder Fehler bei der Anpassung der Arbeitsverträge macht. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob bei massenhaften Verstößen Tatmehrheit anzunehmen ist (dazu sogleich).

a) Zuständigkeit für die Überwachung des NachwG

Eine der Bußgeldhöhe vorgelagerte Frage ist, welche Behörde für die Überwachung des NachwG zuständig ist. Das NachwG selbst bestimmt keine Aufsichtsbehörde für die Kontrolle und Sanktionierung der Nachweispflichten. Der Gesetzgeber hat sich sogar ausdrücklich gegen eine Zuständigkeit des Zolls oder der Bundesagentur für Arbeit entschieden. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten folgt daher aus §§ 36, 37 OWiG. Sie ist Ländersache. Das heißt, dass die einzelnen Bundesländer bestimmen, welche Behörden die Einhaltung des Nachweisgesetzes überwachen. In der Regel sind dies die jeweiligen Gewerbeaufsichtsämter, obwohl der Bundesrat noch im Gesetzgebungsverfahren eine hinreichende Qualifizierung und Ausstattung der ländereigenen Gewerbeaufsichtsämter bezweifelt hat (BT-Drs. 20/2245, S. 1).

b) Opportunitätsprinzip bei der Verfolgung

Bei Verstößen gegen das NachwG kann ein einmal eingeleitetes Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die zuständige Behörde aus Opportunitätsgründen (§ 47 OWiG) eingestellt werden. Dem steht nicht entgegen, dass die Vorgaben der RL 2019/1152/EU, die dem NachwG zu Grunde liegt, eine wirksame, angemessene und abschreckende Sanktion vorsehen. Denn anders als zum Beispiel Art. 83 DSGVO sieht die Richtlinie gerade nicht vor, dass Sanktionen verhängt werden müssen.

c) Höhe der Geldbuße – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit

Für die entscheidende Frage, wie hoch eine Geldbuße nach Verstößen gegen das NachwG ausfallen kann, wird insbesondere ausschlaggebend sein, in welchem rechtlichen Verhältnis mehrere Verstöße gegen das NachwG zueinanderstehen. Entscheidend ist also, in welchen Fällen Tateinheit und in welchen Fällen Tatmehrheit vorliegt. Dies ist deshalb zentral, weil § 20 OWiG bei Tatmehrheit eine Kumulation der Einzelgeldbußen anordnet und somit dem Weg zu einer gedeckelten Gesamtgeldbuße versperrt.

Grundsätzlich gilt, dass Tatmehrheit dann angenommen würde, wenn der Vorgang nicht mehr als natürliche oder rechtliche Handlungseinheit eingeordnet werden kann, sich also das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise für einen Dritten nicht mehr als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt, das auf einem nach außen erkennbarem einheitlichem Willen beruht. Diesen allgemeinen Bewertungsmaßstab zugrunde legend, ergeben sich für Verstöße gegen das NachwG folgende mögliche Konstellationen:

aa) Ein Hinweisschreiben an einen Mitarbeiter mit mehreren Verstößen

Sollte in einem Hinweisschreiben an nur einen Mitarbeiter gegen mehrere Vorschriften des § 2 NachwG verstoßen worden sein, so ist in Anbetracht der bisherigen Rechtsprechung und Literatur zu vergleichbaren Fällen die Annahme einer tateinheitlichen Begehung naheliegender. Neben vergleichbarer obergerichtlicher Rechtsprechung beispielsweise für den Verstoß gegen zwei unterschiedliche Kennzeichnungspflichten wird auch in der Literatur die Auffassung vertreten, dass Formverstöße im Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Bußgeldvorschriften dann tateinheitlich sind, wenn ein einheitlicher Willensentschluss vorliegt. Auch der enge räumlich-zeitliche Zusammenhang, der bei mehreren Verstößen innerhalb eines Hinweisschreibens vorliegt, spricht für die Annahme einer tateinheitlichen Bewertung. Es kann gleichwohl nicht ausgeschlossen werden, dass Aufsichtsbehörden und Rechtsprechung den unterschiedlichen Vorschriften des § 2 NachwG unterschiedliche Schutzzwecke beimessen. In diesem Fall wäre es denkbar, wenn auch nicht überzeugend, dass die Behörde jede fehlende Information in dem Hinweisschreiben als separat zu ahndenden Verstoß wertet.

bb) Mehrere Hinweisschreiben an mehrere Mitarbeiter mit demselben Verstoß („Musterschreiben“)

Sollte ein Verstoß in einem einmal aufgesetzten für eine Vielzahl von Mitarbeitern vorgesehen Schreiben vorliegen, so sprechen die besseren Argumente dafür, nur einen tateinheitlichen Verstoß anzunehmen. Denn in diesem Fall ist das Vorliegen eines einheitlichen Willensentschlusses maßgeblich. So ist nach der Rechtsprechung beispielsweise die Annahme eines tateinheitlichen Verstoßes gegen § 16 AÜG möglich, wenn zwar mehrere Leiharbeitnehmer illegal beschäftigt werden, dies aber auf einem einheitlichen Willensentschluss beruht. Ein einheitlicher Willensentschluss liegt gerade beim Entwurf eines Musterschreibens an eine Vielzahl von Mitarbeitern nahe. Der Arbeitgeber bezweckt mit diesem Musterschreiben nämlich gerade, eine erneute Prüfung in jedem Einzelfall zu vermeiden, sondern durch eine einheitliche Willensbetätigung gegenüber einer Vielzahl von Mitarbeitern seine Pflichten zu erfüllen.

cc) Bemessungskriterien bei der Bußgeldhöhe

Hinsichtlich der Bemessungskriterien für die Bußgeldhöhe gelten sodann in einem Folgeschritt die allgemeinen Maßstäbe des
§ 17 Abs. 3 OWiG. Das NachwG macht in dieser Hinsicht keine besonderen Vorgaben. Damit sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, der Vorwurf an den Täter und unter Umständen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentliche Zumessungskriterien. Dazu gehören auch Art und Intensität des Verstoßes sowie das Maß der Pflichtwidrigkeit.

C. Ausblick

Der deutsche Gesetzgeber ahndet zukünftig Verstöße gegen die Pflicht, Nachweise nach §§ 2, 3 NachwG schriftlich zu erbringen, über das Instrument des Ordnungswidrigkeitenrechts. Es ist zu hoffen, dass die Behörden ihre Kontrolle in erster Linie auf offensichtliche Verstöße gegen §§ 2, 3 NachwG beschränken. Die Prüfung, ob die geltenden Arbeitsbedingungen materiell-rechtlich „richtig“ im Nachweisschreiben/Arbeitsvertrag wiedergegeben wurden, setzt hingegen eine intensive arbeitsrechtliche Prüfung voraus, zu der die Behörden ohne Durchsicht diverser arbeitsrechtlicher Dokumente (Individualverträge, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge, Gesamtzusagen usw.) mitunter gar nicht in der Lage sind. Letzteres wird regelmäßig nur durch aktive Hinweise – etwa durch den Arbeitnehmer – möglich werden. Selbst hierbei gilt allerdings: Fahrlässige Fehler im Nachweisschreiben – etwa bei der Wiedergabe der geltenden Arbeitsbedingungen – sind nicht bußgeldbewehrt. Es bedarf mindestens bedingt vorsätzlichen Handelns. Noch nicht absehbar ist, wie die zuständigen Behörden das Opportunitätsprinzip anwenden werden. Es ist aufgrund der heterogenen Zuständigkeit innerhalb der Bundesländer allerdings davon auszugehen, dass auch regionale Besonderheiten eine Rolle spielen werden. Wirtschaftlich wird die von § 4 NachwG ausgehende Gefahr hoher Bußgelder bei folgerichtiger Anwendung der Grundsätze zu Tateinheit und Tatmehrheit sowie Vorsatz und Fahrlässigkeit hoffentlich begrenzt werden können. Die Vielzahl komplexer Rechtsfragen, die unter Umständen vom Arbeitgeber unter hohem Zeitdruck zu beantworten sind, zeigt jedoch: Sehen sich Arbeitgeber in Zukunft einem Bußgeldverfahren der zuständigen Behörde ausgesetzt, ist ihnen zu empfehlen, umgehend erfahrene Berater aus dem Arbeitsrecht, dem Strafrecht und dem Sozialrecht hinzuzuziehen.