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Briefing

Einigung über EU-Richt­linie zur Plattform­arbeit: Was folgt daraus für Plattform­betreiber und -arbeiter?

I. Einleitung

Am 11. März 2024 haben die EU-Mitgliedstaaten bei einem Treffen der EU-Arbeitsminister die am 8. Februar erzielte vorläufige Einigung über die EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeits­bedingungen in der Plattform­arbeit („Richtlinie“) bestätigt. Die Bestätigung stellt den Schlusspunkt der über zwei Jahre andauernden Verhandlungen über den Richtlinien­text dar, der zuletzt im Rahmen einer Abstimmung der Mitglieds­staaten am 16. Februar 2024 nicht die notwendige Mehrheit erhalten hatte.

Plattformarbeit, auch bekannt unter „Crowdworking“ oder „Gig-Economy“, bezeichnet eine Beschäftigungsform, bei der Arbeit gegen Bezahlung über eine digitale Plattform organisiert wird, wobei die konkreten Vertragsverhältnisse und Leistungsbeziehungen je nach Ausgestaltung der Plattformarbeit variieren. Klassische Beispiele sind insbesondere Kurier- oder Fahr­dienste, verbreitet sind aber auch Dienstleistungen wie Reinigungs- oder Betreuungs­arbeiten und Programmier­leistungen.

In der Praxis ist häufig problematisch, ob es sich bei den Personen, die Plattformarbeit leisten, um Arbeitnehmer oder Selbständige handelt. Vor diesem Hintergrund und angesichts des rasanten Wachstums der Plattform­wirtschaft soll die Richtlinie Mindest­standards zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattform­arbeit setzen und neben dem Schutz der personenbezogenen Daten von Plattformarbeitern insbesondere auch deren Qualifikation als abhängig oder selbständig Beschäftigte erleichtern.

II. Plattform­arbeit in der EU und in Deutschland – Problemaufriss

Nach Schätzungen der Europäischen Kommission arbeiteten im Jahr 2022 mehr als 28 Millionen Menschen in der EU über eine oder mehrere digitale Arbeitsplattformen; diese Zahl soll im Jahr 2025 auf 43 Millionen ansteigen1. Die rechtlich besonders relevante Frage der Einordung der Plattformarbeiter als Arbeitnehmer oder Selbständige ist dabei nicht immer leicht zu beantworten. In Deutschland, ebenso wie in vielen anderen Rechtsordnungen, lassen sich nämlich keine pauschalen Aussagen zur Beschäftigungsform von Plattform­arbeitern, etwa für bestimmte Beschäftigungs­bereiche, treffen. Die Einordnung hängt vielmehr von der konkreten Ausgestaltung und Durchführung der Plattformarbeit und der Gewichtung verschiedener Faktoren im Einzelfall ab. 

In Deutschland ist etwa nach § 611a Abs. 1 S. 1 BGB für das Vorliegen eines Arbeitsvertrags erforderlich, dass eine Verpflichtung „zur Leistung weisungs­­gebundener, fremd­bestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit“ besteht.  Eine „wirtschaftliche Abhängigkeit“ reicht hierfür also gerade nicht aus. Vielmehr ist zum einen eine Weisungs­gebundenheit hinsichtlich Inhaltes, Durchführung, Ort und Zeit der Tätigkeit und zum anderen eine persönliche Abhängigkeit in Form einer Fremdbestimmung erforderlich, die sich auch aus der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers ergeben kann.

In Konsequenz der gebotenen, aber nicht immer einfachen Einzelfall­betrachtung bei der rechtlichen Einordnung der Beschäftigungsform von Plattformarbeitern sind (Arbeits-) Gerichte in ganz Europa bereits seit vielen Jahren mit dieser Frage beschäftigt. Prominentes Beispiel sind etwa die in verschiedenen Ländern geführten Gerichtsverfahren über die Einordnung der Beschäftigungs­verhältnisse von Uber-Fahrern. In Deutschland hat das Bundes­arbeits­gericht in einem vielbeachteten und umstrittenen Urteil (BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20) entschieden, dass ein „Crowdworker“ entgegen ausdrücklich getroffener vertraglicher Vereinbarungen Arbeit­nehmer sein kann, wenn er im Rahmen der Durchführung von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldeten Tätigkeiten einfach gelagert und inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftrags­vergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den „Crowdsourcer“ gelenkt wird.

In einigen Ländern der EU, etwa in Spanien oder Italien, ist der Gesetzgeber im Hinblick auf die Regelung von Plattformarbeit tätig geworden, nicht aber in Deutschland. Der Koalitions­vertrag der Ampel­regierung enthält diesbezüglich lediglich den Programmsatz, dass digitale Plattformen eine Bereicherung für die Arbeitswelt und daher „gute und faire Arbeitsbedingungen“ wichtig seien. In diesem Sinne solle das bestehende Recht geprüft, die Datenschutz­grundlagen verbessert und die Initiative der EU-Kommission solle konstruktiv begleitet werden. 

III. Wesentliche Inhalte der Richtlinie

Ziel der Richtlinie ist in erster Linie auf eine Verbesserung der Arbeits­bedingungen in der Plattformarbeit sowie der Schutz personen­bezogener Daten von Personen, die Plattformarbeit leisten. 

Im Mittelpunkt der Richtlinie steht dabei eine gesetzliche Vermutung, die dazu beitragen soll, die Bestimmung des korrekten Beschäftigungs­status von Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, zu erleichtern. Danach soll das Vertragsverhältnis zwischen einer digitalen Arbeitsplattform und einer Person, die Plattformarbeit über diese Plattform leistet, rechtlich als Arbeits­verhältnis angesehen werden, wenn gemäß den nationalen Rechtsvorschriften (..) Tatsachen, die auf Kontrolle und Steuerung hindeuten, festgestellt werden. Zu diesem Zweck sind die Mitglieds­staaten angehalten, im Rahmen nationaler Regelungen die Kriterien für die widerlegbare gesetzliche Vermutung einer abhängigen Beschäftigung festzulegen. Bei Vorliegen dieser Kriterien muss die digitale Arbeits­plattform zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nachweisen, dass das betreffende Vertragsverhältnis kein Arbeits­verhältnis im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften darstellt. 

An der Regelung ist bemerkenswert, dass sie erheblich vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission zur Ausgestaltung der Vermutungs­regelung abweicht, der ein erheblich höheres Maß an Harmonisierung zur Folge gehabt hätte. So bestand der ursprüngliche Vorschlag der Kommission darin, dass die Vermutungswirkung bei Vorliegen von zwei von fünf im Richtlinienentwurf aufgestellten Kriterien eintritt. Der Rat erhöhte diese Regelung auf drei von sieben aufgestellten Kriterien. Das Parlament wiederum lehnte eine Orientierung an aufgestellten Kriterien gänzlich ab und befürwortete stattdessen, sich auf die tatsächlichen Arbeits­bedingungen zu konzentrieren. Mangels einer Einigung auf eine Harmonisierung der Kriterien wurde auf die Aufnahme konkreter Kriterien letztlich verzichtet. 

Neben der Vermutungsreglung sieht die Richtlinie eine Regelung zur Verwendung algorithmischer Systeme am Arbeitsplatz vor. Da Plattformarbeiter ihre Aufträge oftmals ausschließlich über eine App erhalten, soll die Richtlinie mehr Transparenz hinsichtlich der Algorithmen, die der Beauftragung zu Grunde liegen, schaffen. Insbesondere soll sichergestellt sein, dass wichtige Entscheidungen der Plattform, die sich direkt auf die Plattformbeschäftigten auswirken, der menschlichen Kontrolle unterliegen. Daher sei etwa eine regelmäßige Evaluierung der Auswirkungen von Entscheidungen durch automatisierte Systeme unter Beteiligung von Arbeit­nehmer­vertretern erforderlich.

Darüber hinaus sieht die Richtlinie vor, dass die Arbeitnehmer über die Verwendung automatisierter Überwachungs- und Entscheidungs­systeme zu informieren und bestimmte Arten von persönlichen Daten vom Einsatz automatisierter Systeme ausgeschlossen sind, z.B. emotionale oder psychologische Zustandsdaten, private Gesprächs­inhalte und Daten zur Vorhersage der Ausübung grundlegender Rechte.

IV. Wie geht es weiter?

Mit der Einigung über die Richtlinie am 11. März 2024 hat sich die nach dem zwischenzeitlichen Scheitern einer Einigung geäußerte Befürchtung, wonach wegen der bevorstehenden Neuwahl zum Europäischen Parlament im Juni 2024 und der Bildung der neuen Europäischen Kommission im November 2024 die Verhandlungen zur Richtlinie aufs Neue beginnen müssen, nicht verwirklicht. Vielmehr wird die Richtlinie nunmehr nach formeller Beschlussfassung und Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten, daran schließt sich dann eine zweijährige Frist für die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht an.

Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht dürfte insbesondere die Ausgestaltung der Vermutungsregelungen für die Qualifikation der Beschäftigungs­verhältnisse von Plattformarbeitern im Fokus stehen. Eine Verschärfung der Regelungen zur Einstufung von Plattformarbeitern als Arbeitnehmer der Plattform hat nämlich insbesondere in sozial­versicherungs­rechtlicher und arbeitsrechtlicher Hinsicht weitreichende Konsequenzen. Aufgrund der letztlich nicht in die Richtlinie übernommenen Kriterien für die Bestimmung der „Kontrolle“ durch die Plattform lässt sich insoweit allerdings nicht die erhoffte Harmonisierung erwarten, da die Ausgestaltung der Vermutungs­regelungen sich nach dem jeweiligen lokalen Recht richtet und in die Bestimmungs­macht der einzelnen Mitgliedstaaten gestellt ist. In Deutschland dürfte unter anderem zu erwarten sein, dass die zuletzt vom Bundesarbeitsgericht in der „Crowdworker“-Entscheidung aufgestellten Kriterien in das nationale Umsetzungs­gesetz einfließen.

Obgleich es bis zum Inkrafttreten eines nationalen Umsetzungs­gesetzes noch ein weiter Weg ist, sind Plattformbetreiber gut beraten, in den für ihr Geschäft relevanten Ländern ein wachsames Auge auf die Entwicklung der nationalen Diskussion über die Ausgestaltung des Umsetzungsgesetzes und insbesondere der Vermutungs­regelung für den Beschäftigungs­status von Plattformarbeitern zu haben, um rechtzeitig etwaige Auswirkungen auf ihr Risikoprofil und Geschäftsmodell erkennen und bewerten zu können.

 

1Zahlen von der Homepage der Europäischen Kommission: https://www.consilium.europa.eu/de/policies/platform-work-eu/


Briefing - Einigung über EU-Richtlinie zur Plattformarbeit - Was folgt daraus für Plattformbetreiber und -arbeiter
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